«Wir entwickelten ein gemeinsames Gefühl für besondere Situationen.»

Bei Ulrike Leutwyler laufen die Fäden der vier Bundesasylzentren in der Nordwestschweiz zusammen. Die ausgebildete Pflegefachfrau führt seit 2019 den Bereich Pflege; gleichzeitig ist sie auch Koordinatorin, Pendlerin, Kommunikatorin und Vertrauensperson – für alle Menschen, die sich in den verschiedenen BAZ engagieren. Das SEM analysierte die Situation rund um Covid-19 und sprach mit ihr unter anderem über Kooperation, Herausforderungen, Gefahren und Exploits.

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Ulrike Leutwyler

Antrieb Pfeil nach unten

«Ich bin ein zupackender und vorwärtsschauender Mensch, der in allem das Positive sieht und ich habe eine zweifache Triebkraft in mir. Das ist einerseits das Wohlergehen der Menschen, die uns anvertraut werden; und andererseits ist es der sehr hohe Anspruch an mich selbst. Die Situation rund um das Covid-19-Virus hat uns alle an die Grenze gebracht. Doch wir meisterten sie letztlich alle gemeinsam so gut wie möglich. Geholfen haben uns neben unserem Netzwerk die überaus positiven Feedbacks sowie die gute Zusammenarbeit mit unseren Partnern.»

Anfang Pfeil nach unten

«Der Beginn war beängstigend. Mein erster Gedanke, als die Pandemie ausbrach, war: Da kommt etwas Gewaltiges auf uns zu. Wir setzten uns schon sehr früh mit dem SEM zusammen und stiessen dabei auf offene Ohren. Wir überlegten, was Covid-19 für die Asylsuchenden bedeutet und versuchten, uns so gut wie möglich vorzubereiten.»

Flexibilität Pfeil nach unten

«Das Wichtigste ist: Wir müssen offen sein, damit wir auf die verschiedenen Szenarien immer wieder von neuem reagieren können. Jeder Tag ist anders. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die neue Situation, wird resilient und baut einen gemeinsamen Durchhaltewillen auf. Wir wussten auch, dass wir die vorgegebenen Regeln nicht immer eins zu eins durchsetzen konnten, verloren aber nie den Überblick. Vor allem hatten wir stets den Blick für das Machbare.»

Gespür Pfeil nach unten

«Unser Anliegen ist: Wir haben immer ein offenes Ohr für und nehmen alles und alle ernst. Das ist kein Standardsatz, denn wir leben und tragen diese Haltung täglich nach aussen. Wir beurteilen eine Situation stets neu und gehen auf die verschiedenen Hintergründe und Anforderungen der Menschen ein. Das galt insbesondere auch beim Ausbruch von Covid-19: Wir kommunizierten, holten die Leute ins Boot und halfen Ängste abzubauen. Dabei entwickeln wir ein gemeinsames Gefühl für besondere Situationen, das von allen Seiten sehr geschätzt wurde.»

Kooperation Pfeil nach unten

«Im Grossen und Ganzen verlief alles ruhig und zufriedenstellend. Natürlich gab es Stress wegen des Dauertestens oder der eingeschränkten Freiheiten. Doch insgesamt war die Akzeptanz hoch und es kam zu keinen Unruhen. Alle haben wirklich gut mitgemacht. Nicht hilfreich war jedoch die unsachgemässe externe Berichterstattung, welche uns zum Vorwurf machte, wir würden die Asylsuchenden einsperren, als wir vom Kantonsarzt unter Quarantäne gestellt wurden.»

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Vier Kantone Pfeil nach unten

«Wir sind ja für vier Bundesasylzentren in vier Kantonen zuständig. Das Wichtigste und Schwierigste zugleich ist die Kommunikation und damit dafür zu sorgen, dass stets alle auf dem neusten Wissensstand sind. Schliesslich gelten gerade in Bezug auf Covid-19 in allen Kantonen verschiedene Regeln. So mussten wir immer wieder einen gemeinsamen Konsens suchen, was die Regeln angeht. Das heisst mit anderen Worten: Lösungsorientiertes Arbeiten.»

Infrastruktur Pfeil nach unten

«Das war eine unserer grössten Herausforderungen: Isolationsräume, Quarantäne, Abgrenzungen – teilweise mussten wir Schleusen und Duschen einbauen und hatten mit räumlichen Einschränkungen zu kämpfen – das führte zu Unsicherheiten. Aber am Schluss hatten wir dank dem Einsatz der ganzen Crew immer eine Lösung bereit.»

Gefahren Pfeil nach unten

«Wir befinden uns seit zwei Jahren in einer Ausnahmesituation. Wir kämpfen deshalb auch ein bisschen gegen einen gewissen Ermüdungseffekt. Alle wünschen sich wieder eine gewisse Normalität. Das Kerngeschäft hat gelitten, weil wir uns immer wieder auf das Virus konzentrieren mussten. Wir haben uns aber bewusst immer wieder mit dem Wohlbefinden der Menschen auseinandergesetzt. Und nahmen uns speziell Zeit, wenn jemand etwas auf dem Herzen hatte.»

Exploit Pfeil nach unten

«Wir achten darauf, dass die Motivation im Team hoch ist. Das Miteinander und die Sorgfalt wird dabei besonders gross geschrieben. Wir nehmen uns einer Sache mutig an und dürfen auch mal Fehler machen. Für mich persönlich ist es wichtig, dass ich regelmässig positive Feedbacks gebe. Damit jede und jeder über sich hinauswachsen kann.»

Lehren Pfeil nach unten

«Wir haben von Anfang an unser Wissen und unsere Erfahrungen aufgeschrieben; schon alleine, damit wir bei einem allfällig nächsten Mal gut vorbereitet sind und im besten Fall nur noch kleine Anpassungen vornehmen müssen. Wir gingen präventiv vor und wollen der Zeit voraus sein.»

Mehrwert Pfeil nach unten

«Klar, es war für alle eine harte und schwierige Zeit. Ich glaube aber, dass jede und jeder Einzelne über sich hinausgewachsen ist. Was meine Teams - aber auch alle anderen - geleistet haben, ist schlicht sensationell. Wir wuchsen zusammen und meisterten alles gemeinsam; das war und ist ein wunderschönes Gefühl. Ich bin extrem stolz auf alle Beteiligten.»

Das Pflegegewissen: Ulrike Leutwyler

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Geboren wurde sie in der Nähe von Stuttgart. Nach ihrer Ausbildung zur allgemeinen Krankenpflegerin zog Ulrike Leutwyler ihre Kinder gross und engagierte sich parallel als Flötenlehrerin, Spitex-Betreuerin oder Spielgruppenleiterin. Nach einem Abstecher als Pflegerin in einer Gynäkologiepraxis in Westfield (New Jersey) arbeitete sie zuerst in einer Reha-Klinik in Deutschland, bevor sie 2014 als Pflegefachfrau bei ORS einstieg. Zwischen 2015 bis Ende 2018 leitete sie das Asylzentrum in Allschwil. Seit 2019 leitet sie die Betreuung Pflege für die vier Bundesasylzentren in der Nordwestschweiz.