«Wir konnten nicht einfach ins Homeoffice.»

Die Corona-Pandemie brachte grosse Herausforderungen für das Asylwesen mit sich. David Keller, Leiter Krisenstab Asyl, nimmt Stellung.

David Keller, Staatssekretariat für Migration

Was kam mit der Coronapandemie auf die Bundesasylzentren zu?

«Eine Hürde war schon mal die Einhaltung der Vorschriften des BAG. In einem Zentrum mit 200 bis 300 Personen den Mindestabstand einzuhalten, ist ziemlich schwierig. Auch die Umsetzung der Hygienekonzepte war eine echte Challenge. Ausserdem wurden wir zu Beginn der Pandemie mit Ängsten der Mitarbeitenden konfrontiert – doch jemand musste die Stellung vor Ort halten und es gab keine Möglichkeiten für Homeoffice.»

Wie haben Sie sich auf den Ernstfall vorbereitet?

«Auf der operativen Ebene erkannten wir den Ernst der Lage ziemlich früh. Dadurch hatten wir etwas mehr Zeit, uns auf die Situation einzustellen. Wir etablierten die Krisenkommunikation und tauschten uns mit den Experten des BAG aus. Und wir haben von Anfang an klar gemacht, dass wir die Asylverfahren weiterführen wollen. Aus platztechnischen Gründen war dies essenziell. Sonst hätten sich die Zentren immer mehr gefüllt, die Einhaltung der Mindestabstände wäre noch schwieriger geworden.»

Wie funktionierte der Austausch zwischen den Zentren in der Schweiz?

«Ein operativer Krisenstab wurde ins Leben gerufen. In diesem Gremium wurden einheitliche Richtlinien für alle Zentren des Bundes definiert: Abstände zwischen den Betten, Markierungen in den Esssälen, Einrichtung der Quarantäneräume etc. Aber natürlich herrschen nicht an jedem Standort die gleichen Gegebenheiten, und die Massnahmen mussten an die jeweilige Situation vor Ort angepasst werden.»

Wie sind die Mitarbeitenden Ihrer Abteilung mit der Pandemiesituation umgegangen?

«Ich muss meinen Mitarbeitenden ein grosses Lob aussprechen: Was sie im vergangenen Jahr geleistet haben, ist grossartig. Beim Umgang mit der Pandemie gab es verschiedene Phasen: Am Anfang war es für alle relativ schwierig, weil kaum etwas zum Virus bekannt war. Der Ruf nach Homeoffice wurde laut. Rasch wurde aber klar, dass wir eine Pflicht gegenüber den Asylsuchenden zu erfüllen hatten und nicht einfach zu Hause bleiben konnten. Die grosse Solidarität hat mich sehr beeindruckt.»

Und wie haben die Asylsuchenden die Coronaregelungen aufgenommen?

«Grundsätzlich sehr gut, es gab kaum Protest gegen die Schutzmassnahmen. Auch die Maskenpflicht während der zweiten Welle wurde ohne grosse Diskussionen akzeptiert – diesbezüglich hatte ich mit mehr kritischen Stimmen gerechnet. Ein Grund dafür, dass die Regelungen so gut aufgenommen wurden, war meines Erachtens das Bewusstsein für die Gefahr rund um das Virus.»

David Keller an seinem Arbeitsplatz

Was hat Sie besonders gefordert?

«In Krisensituationen ist in erster Linie rasches Reagieren gefordert. Man hat nie viel Zeit, alle Optionen abzuwägen und zu vergleichen – zögern ist nicht erlaubt. In Coronazeiten musste ich oft antizipieren und mich auf mein Bauchgefühl verlassen. Erschwerend hinzu kamen die ständigen Anpassungen bei den Regelungen. Ich habe jedoch stets versucht, Ruhe auszustrahlen und den Mitarbeitenden sowie den Asylsuchenden ein positives Gefühl zu vermitteln.»

Welches Ereignis ist Ihnen speziell in Erinnerung geblieben?

«An die beiden ersten Wochen im April 2020 werde ich mich wohl noch eine ganze Weile erinnern. In dieser Phase war das Verfahrenszentrum im ehemaligen Zieglerspital geschlossen. Die technischen Vorkehrungen wie das Umstellen der Räume, die Installation von Plexiglasscheiben etc. wurden vorgenommen. Während dieser Zeit waren folglich alle Büros geschlossen. Ich war alleine im Büro und hielt die Stellung. An einem düsteren Morgen erfasste mich für einen kurzen Augenblick die Angst vor dem Virus. Ich hielt einen Moment inne, motivierte mich dann aber, optimistisch zu bleiben und weiterzumachen.»

Was ist Ihr bisheriges Fazit zur Pandemie und was hätten Sie im Nachhinein anders gemacht?

«Wir haben einen offensiven und transparenten Kommunikationsweg gewählt – das hat sich ausbezahlt und ich würde es wieder so machen. Das Austauschbedürfnis hätte man vielleicht noch proaktiver angehen können. Worauf man sich bei künftigen Krisen, meiner Meinung nach, noch stärker fokussieren sollte, ist der Weg aus der Krise. Eine herausfordernde Situation zu bewältigen, ist eine Sache, die andere Sache ist jedoch ein klares Konzept zur schrittweisen Rückkehr in die Normalität.»